Winter ade!

– Februar 2002 –

 

Sonnabend, 23. Februar 2002

Mitnehmen oder nicht mitnehmen, das ist die Frage. Nachdem sie gestern Abend nach Sturm- und Schneewarnungen schon negativ beantwortet war, wird der Beschluss fünf Minuten vor der Abfahrt revidiert. Also der alte linke und rechte neue Fahrradhalter aufs Autodach, die Fahrräder desgleichen. Die Konstruktion hält, auch der neue Halter mit den alten Schrauben und Bügeln.

Was nicht hält, das ist der linke Vorderreifen des Autos. Kurz hinter den Dammer Bergen fängt der Wagen im dichten Schneegestöber an zu rumpeln. Wir rollen die nächste Autobahnabfahrt hinunter und bewundern die Gummifetzen. Natürlich liegt der Reservereifen unter dem Gepäck, also alles raus in den Schneematsch. Immerhin zahlt es sich aus, dass wir seinerzeit auf ein echtes Reserverad bestanden hatten. Mit den heute üblichen platzsparenden Noträdern darf man nur im Schneckentempo zur nächsten Werkstatt rollen – und die heißt es am Wochenende erst einmal zu finden.

Nach dem Radwechsel lassen die Schneeschauern nach. Hinter Hamburg ein müder zweiter Versuch des Wetters, uns von der Unsinnigkeit der Fahrradmitnahme zu überzeugen, dann klart es auf. Kurz nach zwei sind wir in Tönning.

*  *  *

Nach vierzehn Monaten wieder in unserem ‘Cottage’ am Herrengraben, wie wir die Ferienwohnung nennen. Alles ist frisch renoviert und erst gestern fertig geworden, erzählen die Wulffs. Und hübscher als je zuvor, meint mein Mädchen, die ein wenig Angst hatte, dass ihr die Wohnung nach den Sylvestertagen in der Deichstraße nicht mehr gefallen würde.

Eileen Óg, © Juergen KullmannSelbst unsere Navigationsexpertin Eileen Óg (rechts) zeigt sich nach einer kurzen Kontaktaufnahme mit Bääh-Beag, einem (Ton-)Schaf auf der Fensterbank, zufrieden – auch wenn sie hier kein rotes Sofa hat.

Der Reifenwechsel hat unseren Zeitplan zunichte gemacht, so dass die Läden bereits geschlossen sind und aus dem geplanten Lebensmittel-Einkauf nichts wird. Kein Problem, denn das Wichtigste haben wir dabei: Wein, Brot, Butter, etwas Käse und auch ein paar Eier. Als erstes jedoch zeigen wir es den falschen Wetterpropheten und radeln über den Eiderdeich. Im offenen Pavillon am Hotel Fernsicht machen wir nach einem Kilometer eine Pause, blicken über den Fluss, diskutieren unsere Abenteuer und rühmen uns der Weisheit, die Fahrräder doch mitgenommen zu haben. Winter ade!

*  *  *

Es wird Abend. In Anbetracht unserer Lebensmittelknappheit schlägt mein Mädchen vor, in der Tönninger Stuv essen zu gehen. Wenn man dort das Zigeunerschnitzel bestellt, bekommt man zwei riesige Scheiben, von denen bereits eine zur Sättigung reicht. Die zweite lässt man sich dann einpacken – als Grundlage für das warme Frühstück am nächsten Morgen.

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Sonntag, 24. Februar 2002

Und hier ist es, das warme Frühstück. Für jeden, der Tönninger Stuv sei es gedankt, ein halbes Schweineschnitzel mit Paprikagemüse. Die Paprika hatten wir noch in der Lebensmittelkiste gefunden.

Eider bei Toenning, © 2005 Juergen KullmannDie Sonne scheint, also holen wir die Räder aus dem Schuppen und fahren über die Eiderabdämmung Richtung Olversum. Es frischt auf, dann wird es zappenduster und erste Tropfen fallen. Wir flüchten unter einen Treckerstand und lassen die Schauer über uns hinwegziehen, während hoch oben auf dem Deich der Oberdeichgraf eindrucksvoll demonstriert, wie ein waschechter Nordfriese Wind und Wetter trotzt. Fünf bis sechs Jahre alt mag er sein.

Die schwarze Wolke ist über die Eider nach Dithmarschen gezogen. Ob es nun trocken bleibt? Der Dreikäsehoch beäugt uns erneut, grinst und schüttelt sich demonstrativ das Wasser ab. Also kehren wir nicht um, sondern fahren weiter ins Katinger Watt. Eine steife Brise von vorn bringt uns aus der Puste, verspricht aber eine leichte Rückfahrt. Hinter Andresens Schankwirtschaft, die heute dummerweise geschlossen hat, finden wir eine trockene Bank und diskutieren, wie es weitergehen soll. Den Meerdeich haben wir vor Augen, doch das Tempo der Windräder, die dunklen Wolken im Westen und die Abwesenheit von Wanderern und Radfahrern auf der Deichkrone verlocken nicht zur Fortsetzung der Expedition. Arg stürmisch scheint es da oben zu sein. Und so lassen wir uns vom Wind nach Tönning zurücktreiben.

*  *  *

Am Nachmittag fahren wir mit dem Auto nach St. Peter Bad. Ein Spaziergang gegen den Wind über die Seebrücke zur Wasserkante, und vielleicht hat ja der eine oder andere Laden geöffnet. Hat er nicht. Dafür aber das Café über der Buchhandlung, wo ein warmer Apfelstrudel mit Eis und Eierlikör nicht nur das Herz, sondern auch den Körper erwärmt. Erst recht der Irish Coffee.

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Montag, 25. Februar 2002

Die Läden haben wieder geöffnet, und mein Mädchen marschiert noch vor dem Frühstück los. Nur die ‘Knackfrischen’ gibt es heute nicht, denn der Mühlenbäcker am Markt hat wegen Renovierung geschlossen. Doch die Mini-Baguetten von Ratjens tun es auch, ganz besonders in Verbindung mit dem dänischen Orangen-Brotaufstrich aus der ‘Gamle Fabrik’ in Taastrup. Dann steht die nächste Investition an; wir fahren nach Garding, um das Problem mit dem zerfetzten Reifen zu lösen. 115 Euro kosten zwei neue Vorderreifen einschließlich Montage und Entsorgung der alten.

Eine schwarze Wolkendecke über Deutschland hatte der Wettermann heute Morgen im Fernsehen gezeigt und Dauerregen angekündigt. Wo liegt dieses Deutschland? Nordfriesland kann nicht dazugehören, denn blau und fast wolkenlos zeigt sich der Himmel. Wir stehen auf dem Deich bei Westerhever. Drei Wanderer sind auf dem Weg zum Leuchtturm, zwei Radfahrer folgen ihnen. Der Pfad steht stellenweise unter Wasser, nichts für unsere Schuhe. So wandern wir unterhalb des Deichs zur Spitze der Halbinsel. Die Wiesen wurden kürzlich gemäht; vor uns zieht ein Trupp Arbeiter daher und sammelt Holzpflöcke aus dem feuchten Schnitt.

Ein Zaun versperrt den Weg und wir steigen entlang des Maschendrahts auf die Deichkrone. Die Feuchtigkeit quakt unter den Schuhen und dringt in sie ein. Oben findet sich ein trockener Zauntritt, der auch als Bank nutzbar ist. Rechts fällt der Deich sacht und grün zum Meer ab, links steil und weiß zum Land, das tiefer als das Meer zu liegen scheint. Die weiße Farbe rührt vom Schnee der vergangenen Nacht, der auf der Landseite noch nicht getaut ist. In alten Zeiten baute man die Deiche anders herum, das heißt mit der Steilseite zum Wasser. Das gefiel schon Hauke Haien nicht:

... Nach langem Hinstarren nickte er wohl langsam mit dem Kopfe oder zeichnete, ohne aufzusehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft, als ob er dem Deiche damit einen sanfteren Abfall geben wollte. Wurde es so dunkel, dass alle Erdendinge vor seinen Augen verschwanden und nur die Flut ihm in den Ohren donnerte, dann stand er auf und trabte halb-durchnässt nach Hause.

Als er so eines Abends zu seinem Vater in die Stube trat, fuhr dieser auf: „Was treibst du da draußen, du hättest ja versaufen können; die Wasser beißen heute in den Deich.“ ... „Sie taugen nichts, Vater“, erwiderte Hauke. Der Alte lacht ihm ins Gesicht. „Du bist wohl das Wunderkind aus Lübeck!“

Aber der Junge ließ sich nicht irren. „Die Wasserseite ist zu steil“, sagte er; „wenn es einmal kommt, wie es mehr als einmal schon gekommen ist, so können wir auch hinterm Deich ersaufen!“ ... „Nun“, meinte der Alte und stieß ein Lachen aus; „du kannst es ja vielleicht zum Deichgrafen bringen; dann mach sie anders!“ „Ja, Vater“, erwiderte der Junge.

Soweit der spätere Schimmelreiter. Doch nun verdunkelt sich der Himmel, und bevor er jetzt noch auf seinem Pferd aus dem Meer auftaucht, wandern wir lieber über der Deichkrone zum Auto zurück.

*  *  *

Gegen Abend erreicht die Schlechtwetterfront aus Deutschland Nordfriesland, während wir im Roten Hahn sitzen und zu einem Meeresfrüchte-Salat überbackenen Schafskäse essen. Dazu gibt es zwei Flens.

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Dienstag, 26. Februar 2002

Hildegard an Klaus & Familie – 1. Brief aus dem Norden

Hallo ihr Drei – Zwei Tage lang verhieß der Wetterbericht Regen und hier schien die Sonne, doch heute, wo es nach den Vorhersagen der Wetterfrösche auflockern soll, schüttet es aus vollen Eimern. Auch die Luft hat es verdammt eilig!

Am Sonntag waren wir mit dem Fahrrad unterwegs, und gestern haben wir zwei neue Reifen fürs Auto besorgt. Auf der Hinfahrt war uns bei Diepholz einer in Fetzen gegangen. Ansonsten ist hier im Februar eindeutig keine Saison, ganz im Unterschied zur Jahreswende. Nur am Leuchtturm – Karte bitte wenden – sahen wir gestern vier Urlauberautos, doch von ihren Besitzern weit und breit keine Spur ... ‘Rungholt, verschwunden in dat Meer’, klingt gerade aus dem CD-Spieler. Ob das die Antwort ist?

Tschüüs,
Hildegard + Jürgen”

Leuchtturm Westerhever, © 1997 Juergen Kullmann

Hildegard an Gisela – 2. Brief aus dem Norden

Liebe Gisela – Nach zwei Tagen Sonne ist Sturm angesagt. Ein ereignisreicher Tag! Friseurin Anja war heute Vormittag ausgebucht, doch ihre Konkurrentin Kirsten nahm sich einhundert Meter weiter meiner an. Die junge Deern, die mir die Haare schnitt, entdeckte auch gleich eine Gemeinsamkeit zwischen uns – sie ist auch eine Auswärtige. Sie kommt nämlich aus Hemmingstedt, 20 km südlich von hier in Dithmarschen, wo vor 500 Jahren die große Schlacht stattfand und eine Bauernrepublik gegründet wurde. Und für die Nordfriesen ist südlich der Eider gleich südlich der Eider, ob zwanzig Kilometer oder 500, spielt da keine Rolle.

Das Schneiden und Tönen kostet sechs Euro weniger als in Hamm, hier kriegt man noch was für sein Geld. Eine Kundenkarte mit meinen Haar-Empfindsamkeiten wurde auch gleich angelegt; man könnte ja in diesem Jahrhundert noch mal vorbeikommen.

Gerade kehren wir von einem Nachmittagsausflug aus Heide zurück. Irgendwie gehen solche Ausflüge immer ins Geld, 40 Euro hat dieser gekostet. Dafür ließ ich eine apfelgrün schimmernde Jacke für Irland mitgehen, erstanden in einer Art Kaufring-Haus. Sie war im Preis heruntergesetzt, wohl die Mode vom letzten Sommer. Was soll’s, bei der alten gelben Irland-Jacke handelt es sich um die Mode von vor elf Jahren.

Ansonsten geht es uns gut, und wir sind viel mit dem Fahrrad durch die Gegend gefahren.

Tschüüs dann,
Hildegard”

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Mittwoch, 27. Februar 2002

Sechzehn Euro zahlen zwei Personen für die Fahrt mit der Nord-Ostsee-Bahn nach Husum und zurück, ganz schön happig für das kurze Stück. Zwei Bedarfshaltestellen ohne Haltebedarf, dann schwenkt der Eiderstedter Blitz auf die Strecke Hamburg-Husum-Westerland ein. Auf dem Nachbargleis überholt uns ein Zug aus Heide, worauf der Lokführer auf die Tube drückt, den Kollegen einholt und auf gleicher Höhe mit ihm das Tempo wieder drosselt. Dann geht es, bis dem ein Rotsignal vor der Bahnhofseinfahrt ein Ende setzt, in Parallelfahrt nach Husum, derweil die beiden Fahrzeugführer (womöglich) einen kleinen Schnack halten.

Heiner Egge, Der EiderboteEinkaufen in Husum: eine blaue Hose und ein Halstuch für die Liebste sowie eine neue Brieftasche für den Chronisten. Bei den Büchern ist Der Eiderbote Bestseller des Nordens, in der Buchhandlung Delff gegenüber C.J. Schmidt liest der Autor Heiner Egge heute Abend daraus vor. Ein Buch um Freud und Leid in einer Zeitungsredaktion soll es sein, mit Redakteuren, die Wind und Wetter trotzen, während der Drucker ihre Berichte hinten im Stall auf seiner unschlagbaren Handpresse Blatt für Blatt auf die Seiten bringt. Die Inhaltsangabe klingt ganz nett, doch für 20,50 Euro? Oder wie wäre es mit Harry Potter un de Wunnersteen, solider gebunden als die hochdeutsche Fassung und gar nicht so teuer! Doch wir besitzen seit den Weihnachtsferien die englische Ausgabe, die sollte reichen. Und dann gibt es für € 7,90 Die letzten Tage von Rungholt. Quatsch, wir haben noch genug ungelesene Bücher!

Dank der neuen Hafenumgehung ist es an der Hafenstraße beschaulich geworden, im Sommer gibt es hier vermutlich Freiluftgastronomie. Noch dreißig Zentimeter und das Wasser schwappt über das Hafenbecken. Das Guinness führende Traditionslokal Dragseth öffnet erst gegen 17 Uhr, und so begnügen wir uns mit zwei Krabben- und einem Fischbrötchen von Loof, während wir durch die Wasserreihe in die Stadt zurückschlendern. Jacqueline’s Teestube im Schlossgang ist unser Ziel. Dort sitzen wir vor einer bordeauxroten Wand mit Ölbildern unterschiedlicher Qualität. Mien Deern ist nach ihren zwei Krabbenbrötchen arg satt und begnügt sich mit einer Tasse Tee, während man sich selbst als Nachtisch zu seinem Bismarckhering ein Stück Eierlikörtorte gönnt.

Dann bummeln wir ein weiteres Mal durch die Stadt, werden erst nass und dann wieder trocken, ehe uns der 17-Uhr-30-Zug nach Tönning zurückbringt.

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Donnerstag, 28. Februar 2002

Triedrichstadt ist noch nicht für die Saison gerüstet, viele Läden und Restaurants sind geschlossen. Außerdem ist es arg windig. Trotz dieser widrigen Umstände gelingt es uns ein (Ton-)Schaf für Gabi aus Stuhr zu erstehen, die wir am Sonntag auf der Heimfahrt besuchen wollen. Es kostet nur halb so viel wie in Husum und St. Peter Ording, das gibt den Ausschlag.

Zwei Stunden später in Schwabstedt. Der Wind pfeift uns um die Ohren und der Ort ist wie ausgestorben. Kein Laden, in dem man etwas kaufen kann! Das betrübt mein Mädchen, schont aber den Geldbeutel. Ob es am Wasserstand der Treene liegt, die auf die Straße überzuschwappen droht? Sind die Menschen auf der Flucht vor einer Flutwelle? Wir fahren nach Tönning zurück ...

(mein Mädchen fährt fort)

... und sitzen im Hotel Fernsicht, wo wir gespannt auf das ‘Eiderstedter Büffet’ warten, links von uns an Sechser- und Achtertischen sechzig Rentner aus Was-weiß-ich-woher, denen wir die Veranstaltung zu verdanken haben. Durch einen Zufall hatte ich heute Mittag davon erfahren und uns etwas abseits am Fenster einen Tisch reserviert.

Elke Peters aus Tönning, © Juergen KullmannDie Hausherrin Elke Peters betritt die Bühne, in schwarzer Eiderstedter Tracht und mit einem schweren Goldgehänge auf der Brust. Die drei Bommel, so erfahren wir, weisen sie als Mutter von drei Söhnen aus. Ich frage mich, ob eine Tochter den alten Friesen auch einen Bommel wert gewesen war. Nach der Begrüßung der Gäste stellt die Wirtin die verschiedenen Gerichte vor und schnackt aus der Eiderstedter Geschichte.

Doch nun ran ans Büffet! Die Fliederbeersuppe sieht aus und schmeckt wie heißer, roter Traubensaft. Als zweiten Gang wähle ich Burgunderschinken (die landestypische geräucherte Schweinebacke ist mir zu fett) mit Mehlbeuteln und Stachelbeeren. Lecker! Mein Liebster erfreut sich derweil weniger mutig am kalten Büffet. Dann kommt Lammbraten mit grünen Bohnen auf meinen Teller. Den von den Rentnern empfohlenen Labskaus lasse ich aus, den kochen wir besser selbst. Eine Miniportion Schwarzsauer mit Mehlklößen stellt sich im dritten Gang als wichtige Erfahrung für mein Leben heraus: ich werde nie wieder davon probieren.

Dafür ist der vierte Gang ganz akzeptabel, saure Rolle mit gestovten Rüben und Bratkartoffeln, und schließlich mache ich mich noch an den Nachtisch. Alles zusammen ist mit fünfzehn Euro nicht zu teuer, doch sein Essen nett serviert und dekoriert an den Tisch zu bekommen, hat auch was. Nach zwei Stunden spazieren wir gesättigt nach Hause.

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Freitag, 1. März 2002

Blau der Himmel, ein Tag zum Radfahren. Das Schaf auf dem Deich bei Olversum schaut uns wie schon am Sonnabend verwundert hinterher. Touristen zu dieser Jahreszeit sind wohl eher ungewöhnlich.

Von Olversum aus geht es ins Katinger Watt und dann über den ‘Sylvesterdeich’ zum Eidersperrwerk. Den Namen wird man schwerlich auf einer Landkarte finden; wir tauften ihn so, als wir am 31. Dezember des Jahres 2000 hier entlanggingen. Es war unser erster Winteraufenthalt in Nordfriesland. Vom Fahrrad aus sind wir jetzt ganz beeindruckt, dass wir die Strecke damals zu Fuß bewältigt hatten.

Bei der kleinen Schleuse, an der an jenem Tag ein paar Wanderer schon am Mittag auf das neue Jahr angestoßen hatten, machen wir Pause. Doch da wir (a) weder Sylvester noch (b) Sekt im Gepäck haben, sitzen wir nur im Windschutz der kleinen Mauer und schauen über die Eider ins Dithmarscher Land, wo das Tempo der Windräder zu erkennen gibt, dass ein nettes Lüftchen weht.

’s ist wieder März geworden
März, wie es ehdem war.
Ein kalter Wind aus Norden
Begrüßt das neue Jahr ...

geht mir durch den Sinn. In diesem Lied aus dem Jahr 1849 drückte der Wind nur die politische Stimmung aus, und während die Bürger nach dem Aufbruch im Jahr zuvor ihre demokratische Gesinnung wieder einpackten, muss auf der Eider eine ganze Menge losgewesen sein, viel mehr als in unseren Tagen. Den Nord-Ostsee-Kanal gab es noch nicht, und der Weg über den Fluss und den 1784 fertiggestellten Eider-Kanal war die Verbindung zwischen den Meeren. Das Packhaus zeugt heute noch von dieser großen Zeit, als Tönning zum wichtigsten Hafen der Westküste wurde. Jetzt sieht man nur noch selten ein Schiff die Eider hochfahren, in der Saison manchmal den Krabbenkutter der Guszinkis, die noch selbst pulen und das Krabbenfleisch als einziger Händler am Ort frei von Konservierungsmitteln anbieten.

Ein kalter Wind aus Norden, was das heute heißt, merken wir eine Dreiviertelstunde später auf dem Deich am Sperrwerk. Eine mehr als nur frische Brise bläst uns ins Gesicht. Ein Segler tuckert mit Motorkraft aus der Schleuse, bald wird er das Segel hissen. Uns kommt der Wind weniger gelegen, doch wir kämpfen bis Katingsiel gegen ihn an. Dann verlassen wir den Deich und fahren durchs Katinger Watt zurück nach Tönning.

Bei Schneeschauern sind wir vor einer Woche gestartet, und morgen geht es zurück nach Dortmund. Frühling liegt in der Luft, Winter ade.

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Weitere Reisetagebücher


Reiseberichte Nordfriesland: 7. Reise, Februar 2002
© 2008 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 19.11.2008