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ls wir aus dem Elbtunnel kommen, ist es vorbei mit der weißen Weihnacht, selbst die Böschung am Rande der Autobahn ist grün. Die norddeutsche Wetterscheide? Von der Brücke über den Nord-
Wir noch nicht. Die Autobahn leert sich, wird hinter Heide zur Bundesstraße. Kaum auswärtige Kennzeichen auf den wenigen Fahrzeugen nach Norden. Ob in Tönning noch ein Restaurant geöffnet hat?
Eines? Alle haben geöffnet, so der Eindruck bei der Fahrt um den Torfhafen. Nur die vom Eis eingeschlossene Nautilus macht einen verlassenen Eindruck. Andere Schiffe sind festlich illuminiert, machen mit ihren von den Masten gespannten Lichterketten den Weihnachtsbäumen Konkurrenz.
Die Wulffs haben uns nicht vergessen. Unser ‘Cottage’ am Herrengraben ist vorgeheizt, auf dem Tisch in der Essdiele liegt eine rote Decke und darauf steht ein Weihnachtsgesteck. Nur die Betten nebenan müssen wir noch zusammenrücken.
* * *
Över de stillen Straaten
Geit klar de Klokkenslag;
God Nacht! Din Hart will slapen,
Un morgen is ok en Dag.
Ein Gedicht von Theodor Storm, das wir, vertont von Knut Kiesewetter, auf der Herfahrt im Autoradio gehört hatten. Wir kommen aus dem Goldenen Anker und gehen über diese stillen Straßen nach Hause. Weihnachtsschmuck hinter vielen Fenstern, das alte Packhaus als großer, illuminierter Adventskalender. Die Zahl ‘24’ steht leuchtend in der Mitte, die weiteren rechts und links etwas kleiner vor den anderen Luken. Nur wenige Menschen sind noch auf den Straßen. Auch wir gehen schlafen, ‘morgen is ok noch en Dag’.
p den Diek. Die Eider führt Hochwasser, ‘Hocheis’, sollte man besser sagen. Zum ersten Mal können wir die Fahrrinne ausmachen, denn die ist offen. Hinter dem Hotel Fernsicht weht uns ein eisiger Wind um die Nasen und – noch viel schlimmer – Ohrenspitzen. Davon profitiert eine Stunde später das Textilhaus Westensee: 25 DM kostet die ums Gehör dreilagige Wollmütze. Die Stiefelchen, die die Liebste zwei Läden weiter ersteht, kosten noch ein klein wenig mehr.
Derart gegen die Unbilden des Winters ausgestattet, wandern wir nach dem Mittagsimbiss erneut über den Deich. Entweder hat der Wind nachgelassen, oder man spürt ihn mit der neuen Mütze nicht mehr. Wir erreichen das Ende der gepflasterten Deichkrone, passieren ein Holztörchen und gehen auf der Grasnarbe weiter. Im Sommer ist dies das Reich der Schafe. Ein junger Mann sitzt auf einer Bank, wartet vielleicht auf ein junges Mädchen, das die Einsamkeit mit ihm teilt.
Die Eider lässt den Deich rechts liegen, macht Feuchtwiesen Platz. Weit draußen laufen Kinder auf einer der zugefrorenen Pfützen Schlittschuh, sollten sie einbrechen, dann hoffentlich nicht sehr tief. Es dämmert, und der Nebel jenseits der Eider lässt Himmel und Erde verschmelzen.
Wir wandern zurück. Der junge Mann auf der Bank am Törchen ist verschwunden. Ob er seine Liebste gefunden hat?
chneeregen von oben, Schneematsch und gefrorene Glätte unten auf den ‘stillen Straaten’, über die man mit dem Auto nur noch rutschen kann – das ideale Wetter also, um mit der Bahn nach Husum zu fahren. Auch wenn die Züge nach einem in der Ferienwohnung gefundenen alten Fahrplan zwischen 9 und 11 Uhr eine Pause einlegen, schliddern wir schon einmal zum Bahnhof. Eine gute Idee, wie sich herausstellt, denn der Verkehr wurde – ungewöhnlich genug für eine eingleisige Nebenstrecke – verdichtet, und die Züge fahren jetzt im Stundentakt. Im Tönninger Kopfbahnhof, der etwa auf halber Strecke zwischen Husum und St. Peter Ording liegt, begegnen sie sich und schlüpfen aneinander vorbei.
Die Schranke geht herunter, der Zug aus Husum fährt ein, sie hebt sich wieder. Zwei Minuten später senkt sie sich erneut, und der Gegenzug von St. Peter Ording nach Husum rollt aufs Nachbargleis. Wir staunen: vor uns stehen nicht mehr die klapprigen roten Friesenblitze der letzten Jahre, sondern zwei neue windschnittige Projektile, einem Intercity-
Die Pilotin läuft von einem Cockpit zum anderen durch den Zug, denn gleich geht es zunächst in Gegenrichtung aus dem Bahnhof. Schon ertönt das Kling-
Ein leichter Schneeregen setzt ein und die Pilotin betätigt den Scheibenwischer. “Nächster Halt Harblek – bei Bedarf”, sagt sie durch. Es besteht kein Bedarf. “Nächster Halt Witzwort – bei Bedarf.” Auch hier gibt es keinen. Nach gut zwanzig Minuten sind wir in Husum, das sich endlich einmal als ‘graue Stadt am grauen Meer’ präsentiert, dabei aber quicklebendig ist.
Was macht man an einem solchen grauen Tag, wenn man eigentlich gar nichts macht? Man vergnügt sich und kauft zwei warme, lange Unterhosen. Und zwei Ansichtskarten. Und für 98 DM das ‘Große Nordfriesland-
Vielleicht hätten wir besser den nach den Anweisungen eines im vorletzten Jahrhundert verstorbenen Landvogts und Amtsrichters geschmückten Weihnachtsbaum in der Wasserreihe 31 besichtigen sollen, doch dafür ist es nun zu spät. Der Zug nach Tönning wartet.
ei Wind und Wetter über den Deich zu wandern, sagt man, härtet ab und ist der Gesundheit zuträglich. Wind und Wetter sind vorhanden, der Deich von Vollerwiek nicht weit – dann also mal los!
Der Wind gibt sich alle Mühe, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, fast könnte man meinen, er übertreibt, der Angeber. Nicht, dass wir uns davon beeindrucken ließen, doch wollten wir nicht schon längst einmal nach St. Peter Dorf? Dort gibt es im Friesencafé den besten warmen Apfelstrudel der Welt. Mit Eierlikör und Vanilleeis – das volle Programm.
Draußen bläst es nicht mehr ganz so arg, also machen wir noch einen Abstecher nach St. Peter Bad und wandern auf die Seebrücke hinaus. Kaum sind wir auf der Sandbank, da erholt sich der Wind. Nun reicht es aber mit der gesunden Seeluft, meint die Nase, und beginnt dauerzutropfen. Da es schon dämmrig wird, fahren wir nach Tönning zurück.
as Wetter hat sich kaum geändert, es bleibt grau und diesig. Wir wollen ‘über die Grenze’ nach Büsum, dort waren wir noch nie. Dithmarscher sind keine Nordfriesen, schreibt Nis R. Nissen in seiner Kleinen Geschichte Dithmarschens*, um dann mit der Frage fortzufahren, warum die Nordfriesen Deiche bauen. Damit sie nicht ins Meer laufen, wenn sie betrunken sind, lautet die Antwort. Und warum bauen die Dithmarscher Deiche? Klar doch, damit kein Nordfriese, der trotzdem ins Meer gelaufen ist, in Dithmarschen an Land kommt.
Also nehmen wir besser den Landweg. Die Fahrt durch Dithmarschen ist eine Fahrt durch Kohlfelder. Nicht alles wurde im Herbst abgeerntet, und dies zur Freude der Schafe, die sich über die angefrorenen Köpfe hermachen. Lecker, lecker! Selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt findet man Verkaufstände an den Straßen, in denen die Bauern ihr Gemüse an den Mann oder die Frau bringen. Vor allem Kohl und Küstenknollen, wie man die Kartoffeln hier nennt.
Büsum ist völlig überlaufen, zeigt nichts von der Tönninger Beschaulichkeit. Der Höhepunkt der Kursaison scheint im Winter zu liegen. Auf der Deichpromenade reihen wir uns in einen langen Tross ein, langsam taucht ein Apartment-Hochhaus aus dem Dunst aus. Jenseits des schrecklichen Klotzes wird es etwas ruhiger; wir wandern noch ein Stück weiter und dann im großen Bogen über eine Sandbank zurück. Erneut passieren wir das aus dem Nebel auftauchende Hochhaus und tauchen selbst in eine Feuchtigkeit ein, die fein verteilt von oben kommt.
Da stürzen wir uns lieber in das Gewühl und versuchen es mit der Shoppingmeile – jedoch ohne Konsequenzen für den Geldbeutel. Selbst für mein Mädchen ist Büsum kein Ort zum Leerkaufen; statt dessen besorgt sie uns zwei Portionen Backfisch mit Bratkartoffeln, ehe es wieder heim nach Tönning geht.
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Eine Anmerkung zum Abendessen beim Italiener am Markt: Seine (lt. Speisekarte) Scampis sehen aus und schmecken wie Seezunge.
* Nis R. Nissen: Kleine Geschichte Dithmarschens. Verlag Boyens & Co., 6. Aufl. 1999.
in klarer Morgen begrüßt uns mit Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt. Der Himmel ist wolkenlos. Flach scheint die Sonne von jenseits der Eider über den Fluss und bringt die dünnen Eisplättchen auf dem Wasser und den Reif auf seinen Uferwegen zum Glitzern, bis sie sich dann auflösen.
Wir haben das Auto am Vogelbrutgebiet ‘Grüne Insel’ stehen gelassen und wandern über den Leitdamm, wie er auf unserer Karte genannt wird, in Richtung Eidersperrwerk. Wir sind allein auf der Welt. Jenseits des Flusses bildet sich am Himmel ein Wolkensaum, darunter ein rosa Streifen, vor dem sich – nicht allzu schnell – Windräder drehen. Die hauchdünne Eisschicht auf den Pfützen knirscht unter unseren Schritten. Wie sich das wohl unter den Bäuchen der Eiderenten anfühlt?
Floot stiggt höger, der asphaltierte Deich liegt nur noch anderthalb Meter über dem Wasser. Wir haben ihn nicht mehr für uns allein. Zügigen Schrittes überholen uns zwei Damen, zehn Minuten später zwei Herren. Ob sie zusammengehören? An einem kleinen Sperrwerk, das ein Flüsschen durch den Deich in die Eider lässt, treffen wir sie wieder, mit einer Flasche Sekt das alte Jahr verabschiedend. Das neue wird man in zwölf Stunden willkommen heißen. Wir passieren sie und wandern weiter bis zum großen Sperrwerk an der Mündung.
* * *
Gegen halb drei sind wir wieder in Tönning. Der Fischimbiss am Hafen wollte eigentlich um zwei schließen, doch noch reicht die Schlange der wartenden Kunden bis nach draußen. Wir haben es uns mit einem Schal als Unterlage auf einer der neuen kalten Edelstahlbänke auf der Dammkrone bequem gemacht, in der einen Hand ein Krabbenbrötchen, in der anderen einen Topf Pharisäer. Die Sonne scheint, das Eis am Rand des Hafenbeckens glitzert und knistert, und die darauf rutschenden Möwen und Eiderenten holen sich einen kalten Bauch. Oder auch nicht. Ein Schwan gesellt sich zu ihnen.
Mein Mädchen bringt die leeren Pharisäertassen in den Imbiss zurück und erwirbt zwei Schillerlocken für morgen früh. Dann wandern wir zum Multimar Wattforum hoch, das heute geschlossen hat. Jenseits von Feld und Straße verdüstert sich der Himmel, davor leuchtet breit ein Regenbogen. Die Rutschbahn der Leprechauns, sagt man in Irland. Ob das andere Ende dort herunterkommt? Was hier herunterkommt, sind Wassertropfen, und so kehren wir hastig um. Vor dem Fischimbiss steht man immer noch Schlange.
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Es wird Nacht, und mit der Dunkelheit dringen heidnische Geister in die Stadt, zwingen in bunte Gewänder gehüllt die Bewohner mit gar seltsamen Sprechgesängen zum Öffnen der Türen und tanzen den Rummelpott:
Fruk, mag de Dör op, de Rummelpott well rin!
Da kümmt een Schipp ut Holland, de hett keen gooden Wind.
Schipper, wist du wieken,
Bootsmann, wist du strieken,
Sett de Segel opp de Topp
Und giff mi wat in’n Rummelpott.
Rummeln ist das plattdeutsche Wort für poltern. Echte Rummelpötte sind rar, sie bestehen aus einer Büchse mit einer übergestreiften Schweinsblase, in der sich ein kleines Loch befindet. Steckt man einen Stock oder Reethalm hinein und reibt ihn mit feuchten Fingern, entsteht der eigentümliche Klang, dem das Instrument seinen Namen verdankt. Getrocknete Erbsen in der Dose verstärken den Lärmeffekt. Echter Pott oder nicht, nur Silber kann die Rummelpott-
Hau de Katt de Schwanz aff,
Hau em nich to lang aff.
Lat en lüdden Stummel stahn,
Dat de Katt kann wieder gahn.
an die Zurückbleibenden zum Weiterziehen bewegen, Fünfzigpfennigstücke tun es auch. Doch mit den ersten Böllern des neuen Jahres ist ihre Macht gebrochen und die Stadt gehört wieder den Menschen.
as neue Jahr hat begonnen und die Stadt gehört nicht nur den Menschen, sondern auch dem Regen und Eis auf den Straßen, so dass die Menschen lieber in ihren Häusern bleiben. Dem schließen wir uns an und beginnen schon einmal zu packen. Morgen geht es zurück nach Dortmund.
Reiseberichte Nordfriesland: 5. Reise, Jahreswechsel 2000/2001
© 2006 Jürgen Kullmann – Letzte Bearbeitung: 11.11.2008