Eduard Manderla
Ursprünglich erschienen in plattdeutscher Sprache im Mitteilungsblatt No. 33 der
Gesellschaft für Tönninger Stadtgeschichte. Mit freundlicher Genehmigung
des Autors ins Hochdeutsche übertragen und hier veröffentlicht
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s war nicht lange nach dem Krieg, im Jahr 1946, dass ich mit der Schule in Westerheverkoog fertig war. Werkeln und Basteln, vor allem mit Holz, dazu hatte ich Lust. Und da bekam ich zu hören, dass die Holzschiffswerft in Tönning einen Lehrling sucht. Da bin ich dann hingefahren um mich vorzustellen.
Ja, mein künftiger Chef Erich wollte mich haben. Ich war gesund, munter und stark, so wie ein 14-Jähriger nun einmal ist. Doch ein paar Haken hatte die Sache schon: Erich war gerade einmal 25 und bekam seinen Meister erst in einem halben Jahr. Sein Vater Friech war sogar Obermeister, doch mit ’nem Lehrjungen wollte er nichts zu tun haben. So musste ich ein halbes Jahr überbrücken – und die Schule war damit einverstanden, dass ich ein halbes Jahr ‘nachsitzen’ durfte.
Der andere Haken war für mich kein so arges Problem: ich bekam ja als Lehrjunge kein Geld und musste weiterhin bei meinen Alten in Norderheverkoog wohnen. Dann mal auf’s Rad! Jeden Morgen zwanzig Kilometer hin – eine gute Stunde – und abends wieder zurück. Sechsmal in der Woche. Und ich habe nicht einen Tag gefehlt, außer es war ein Feiertag. Einmal aber schaffte ich es beim besten Willen nicht nach Hause zurück. Da kam tagsüber so’n Eisregen runter, und es war spiegelglatt. Da musste ich dann auf der Werft bleiben. Und was gab es da für ein leckeres Essen bei der damals noch jungen Chefin, daran kann ich mich noch heute nach fünfzig Jahren gut erinnern. Das Werftteam bestand aus meinem Chef und mir. Seine Frau fasste aber auch gerne mal mit an, und verdammt noch mal, sie verstand ihr Handwerk! Auch ihren Deerns, die damals noch jung waren, ging das Arbeiten mit Holz ins Blut über.
Wenn mal größere Arbeiten anfielen, wie zum Beispiel das Einsetzen einer Maschine in einen Kutter, dann holte sich Erich Helfer vom Hafen. Ich durfte einmal beim Herunterlassen der Maschine in Guschi Smitts Kutter Friedrich Dawartz den schwarzen englischen Handkran ganz alleine bedienen. Ihr könnt es mir glauben, das macht einen Jungen so was von stolz! Aber auch das Arbeiten mit Holz für einen Schiffsneubau, mein lieber Junge, das war das interessant. Schade, dass diese Kunst heutzutage verloren geht. Die Berufsbezeichnung ‘Schiffszimmermann’ gibt es ja schon gar nicht mehr. Aus einem graden Baumstamm all die Rundungen von so einem schmucken Holzschiff haltbar herzustellen, ist wahrhaftig eine Kunst. Das Holz war jeweils ein paar Jahre zuvor zu Planken zurechtgeschnitten und luftig gelagert worden, damit es am fertigen Schiff keine Risse und Verziehungen mehr gibt. Dann den Kiel passgenau legen, die Wangen ebenso. Keine war so wie die andere, das muss einfach stimmen! Und den Planken dann über dem heißen Dampf die richtige Biegung zu geben, aus ihnen ein absolut dichtes Deck zu legen und sie zu kalfatern, das ist eine Kunst, die vielleicht nur noch die Werften von Edelyachten beherrschen. Aber wer kauft denn heutzutage noch so was? Die Freizeitschiffer fahren doch lieber ihre wartungsarmen Joghurtschüsseln.
Allzu viele Neubauten hatten wir auch gar nicht mehr, ein Hauptgeschäft war das Reinholen von Kuttern. Im Winter lagen manchmal bis zu acht Tönninger Kutter auf der Slip vor der Werft. Die Schiffe kamen auf den Slipwagen, der auf Schienen lief, und konnten dann mit einem anderen Gleiswagen quer versetzt werden. Am Ende war der ganze Werftplatz bis zum Zaun hin vollgepackt mit Kuttern. In Tönning lagen ja zeitweise fünfzig und mehr Krabbenkutter, da gab es eine Menge Arbeit.
Ja, mein Meister hatte dann noch mal versucht, mit der Büsumer Werft etwas Großes in die Hand zu nehmen, aber das ging schließlich in die Hose. So kam er dann mit dem halbfertigen Gerippe eines Schiffs wieder zurück, das er wohl als sein Eigentum gerettet hatte. Es lag danach noch ein paar Jahre an Land, ohne dass es fertig wurde.
Nach meiner Gesellenprüfung blieb ich nicht mehr lange. Eine leichte Verstimmung mit meiner Herrschaft – ich hatte mir wahrhaftig nicht mit Absicht an der Hobelmaschine was vom Finger abgeschnitten – ließ mich kündigen. Zum Glück! Denn nun bekam ich bei Zerrsen auf einem ganz neuen Schiff eine feine Stellung als Schiffszimmermann auf große Fahrt: Barcelona, Le Havre, Kuba, New Orleans. Einmal kam in Brunswick sogar Wernher v. Braun an Bord. Was war das für eine herrliche Zeit! Na, und wie das so Seemannsschicksal ist, bekam ich nach ein paar schönen Jahren auf See Bindung an Land. Zum Glück in Eiderstedt, ganz in der Nähe von Osterhever. Und da gab es dann für einen Schiffszimmermann in den besten Jahren am Ende doch noch Arbeit an Land, bei der Krögerwerft in Husum. Gleichwohl bin ich immer noch stolz auf das, was ich auf der Tönninger Holzschiffswerft gelernt habe.
Die Zeiten haben sich geändert. Was bin ich dankbar dafür, dass ich mir mit Volksschulabschluss ein so ein schönes Berufsleben habe aufbauen können. Mir wird Angst und Bange, wenn ich an die heutigen Schulabgänger denke. 50 % haben Abitur und wollen studieren. Und wer macht dann die Arbeit?
Quellennachweis: Diese Erinnerungen von Eduard Manderla erschienen erstmals in plattdeutscher Sprache im Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Tönninger Stadtgeschichte e.V., Heft 33, Oktober 2014. Ins Hochdeutsche übertragen. Fotos von Jürgen Kullmann.
Sammlung Schimmelrieder, Tönning / Nordfriesland