Historisches Tönning
in Texten und Erinnerungen

Das alte Tönning   Lehrzeit auf der Holzschiffswerft   Überblick

Aus dem

Volksbuch auf das Jahr 1850 für Schleswig, Holstein und Lauenburg.
Hg. von Karl Biernatzki. Altona 1849

Das alte Tönning

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Ein Bild vormaliger Größe ist es, was wir hier unseren Lesern vorführen. Fast spurlos ist das stattliche Schloß verschwunden, an welches sich viele große, auch viele trübe Erinnerungen knüpfen. Denn in einem ungewöhnlich hohen Grade hat Tönning — im Gerichtsprotcoll von 1582 heißt es Tonningh — bis auf die neueste Zeit herab, abwechselnd die Gunst und Ungunst des Geschicks erfahren. Ursprünglich war es nur ein Dorf, aber auch das angesehenste in diesem Theile der friesischen Außenlande, so daß noch zu Anfang des 13. Jahrhunderts in Waldermar’s Erdbuch der Landschaft Eiderstedt die Tunningharde genannt wird. Wiederholt wurde es durch verheerende Seuchen und Ueberschwemmungen, durch Brandschatzungen der feindlichen Ditmarscher heimgesucht, erweiterte sich jedoch allmählig zu einem Flecken, in welchem, noch ehe derselbe Stadtgerechtigkeit erhielt, ein großartiges Schloß erbaut wurde. Kaum 60 Jahre später legte man mit sehr bedeutendem Kostenaufwande die Befestigungen an, wodurch es zu einer der ersten Landesfestungen erhoben ward. Nachmals geschleift, dann wieder befestigt, hatte es alles Ungemach einer engen Belagerung und alle Schrecken eines schonungslosen Bombardements, sogar Besatzung durch fremde Kriegsvölker auszuhalten. Zum zweiten Male wurden darauf die Festungswerke zerstört, daß theils verfallene, theils zerstörte Schloß wurde abgebrochen, und Tönning sank zur zweiten Stadt Eiderstedts herab. Noch einmal, als es bei der durch die Engländer ausgeführten Elbsperre 1803 gleichsam ein Freihafen der alten Hansestadt Hamburg wurde, entstand in Tönning eine ganz unerhörte Lebhaftigkeit des Handels, doch nur für kurze Zeit. Gegenwärtig erfreut es sich besonders durch seinen Hafen und den durch diesen veranlaßten Verkehr eines nicht unerheblichen Wohlstandes.

Unsere Abbildung zeigt die noch unbefestigte Stadt, eben nach Vollendung des Schloßbaues, etwa um das Jahr 1583. In den Grundzügen der ganzen Anlage der Stadt ist bis auf den heutigen Tag nichts wesentlich verändert worden. Der gegenwärtige Einwohner erkennt in dem Bilde seine Vaterstadt wieder. Im Vordergrunde vorüber fließt die Eider, deren Breite von hier an schon bedeutend zunimmt, die sich aber erst 6 Meilen abwärts in die Nordsee ergießt. Der alte 1616 zugemauerte Hafen ist seit 1613 durch einen neuen ersetzt worden, den Herzog Johann Adolf von rechts her hinter dem Schlosse in die Stadt hinein ausgraben ließ, da wo auf dem Bilde rechts das große Schiff liegt. Die Arbeit kostete 30,000 Reichsthaler, doch ist der gegenwärtige Hafen seitdem erweitert worden, so daß er gegen 100 Schiffe fassen kann. 1617 wurden die ersten Häuser auf dem Deiche am Hafen erbaut, hinter der Häuserreihe rechts auf der Abbildung.

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Der Ursprung Tönnings reicht indeß in eine viel frühere Zeit hinauf und beginnt mit der Gründung der Kirche, die schon 1186 erwähnt wird und ohne Zweifel damals schon auf demselben Platze lag, wo das Bild sie zeigt und sie noch jetzt steht. Denn dieser Platz ist der am höchsten gelegene, daher auch der älteste Stadttheil. Theils nämlich war diese Anhöhe, noch ehe die Eider eingedeicht worden, vor Ueberschwemmungen gesichert, theils pflegte man sich ehemals immer zuerst um das Gotteshaus anzubauen, wegen des Schutzes, den solche heilige Stätte gewährte, und wegen des Handelsmarktes, der hier stattfand, wo viele Menschen sich regelmäßig zum Gottesdienste versammelten. Namentlich ließen sich hier Leute, welche nicht von Grundbesitz lebten, wie z. B. Handwerker, nieder. In der Gestalt und in dem Umfange, wie auf unserer Abbildung, ist die Kirche, welche dem Heiligen Laurentius geweiht ist, gegen Ende des 15. Jahrhunderts erbaut. Das mittlere große Kirchengebäude ist das ursprüngliche; damals ist es wohl durch den kleineren Anbau rechts vergrößert. 1493 ist der kleine Thurm aufgesetzt worden und zwei Jahre später hat der Mönch Jacob Schmidt die erste Messe in der Kirche gelesen. Der Unterbau des großen Thurmes links ist auch sehr alt, doch wurden die hervorstehenden schrägen Pfeiler erst 1579 ausgeführt und 1580 erhöhte man den Thurm über das Kirchendach hinaus und gab ihm auch jenen obersten Aufsatz, in welchem eine Glocke hängt. Seitdem ist der Oberbau mehrere Male verändert worden, denn 1620 erhielt er zum ersten Mal eine Spitze, welche ein Blitzstrahl 1686 zerschmetterte, so daß sie abgesägt werden mußte; 1700 ward er heruntergeschossen, ist aber bald nachher mit drei Kuppeln über einander wieder aufgebaut, im Ganzen 224 Fuß hoch. — Auf dem Kirchhofe an der dem Beschauer des Bildes zugekehrten Seite der Kirche war noch bis 1590 die Dingstätte, wo Gericht gehalten wurde.

Den ersten Deich zwischen Oldensworth, Tönning und Olversum, im Hintergrunde unserer Abbildung rechts, schlug man zu Anfang des 13. Jahrhunderts. Als aber 1338 das Bett der Eider durch eine Sturmfluth bedeutend verändert wurde, mußte der Deich theilweise umgelegt werden. Diese Bedeichung ward sammt der im Vordergrunde durch die schreckliche Manndränke zwischen dem 8. und 9. Septbr. 1362 wieder zerstört und darauf mit großen Kosten und Mühen wiederhergestellt.

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Um das Jahr 1580 war Tönning ein angesehener Flecken, der schon einen Bürgermeister hatte (1582). In diesem Jahre begann der Schloßbau, indem die ersten Arbeiten zur Anlegung des viereckigen Schloßgrabens ausgeführt wurden. Der Herzog Adolf nämlich, ein Vaterbruder des Königs Friedrich II. von Dänemark und Bruder Herzog Johann des Aelteren, mit denen er gemeinschaftlich in den Herzogthümern regierte, unternahm den Bau. Er hat kurz zuvor das Husumer Schloß, dessen Ausführung 1571 begonnen worden, vollendet. Im Jahre 1581 fing der Bau des Schlosses selbst an, wozu man die Steintrümmer der Wogemannsburg in Westerhever, dieser alten, 1370 zerstörten Seeräuberveste, benutzte. Nach nicht völlig 3 Jahren stand das stattliche Schloß mit seinen 5 Thürmen, die ebenso wie das Dach mit Kupfer gedeckt waren, vollendet da. An den 4 Eckthürmen befanden sich die Wappen von Holstein, Wagrien, Stormarn und Ditmarschen. Der Eingang lag der Kirche gegenüber und war mit folgender in Stein ausgehauenen Inschrift geschmückt, deren Buchstaben vergoldet waren:

Haec arx extructa 1583 ab Adolfo Duce
Slesvico Hosatico

Bald nachher sind wohl manche der noch jetzt den Schloßplatz zierenden Linden und Ulmen innerhalb des Burggrabens angepflanzt worden.

Die nicht unerheblichen Kosten des Schloßbaues mußte die Landschaft Eiderstedt bestreiten. Um von Hand- und Spanndiensten frei zu sein, machte sie zuerst dem fürstlichen Erbauer ein Geschenk von 10,000 Mark. Das reichte aber nicht aus, daher wurde 1585 noch eine erhebliche Schatzung ausgeschrieben. Im Jahre 1590 den 12. October erhielt Tönning zugleich mit Garding durch Vermittelung des damaligen, um Eiderstedt sehr verdienten Stallers Caspar Hoyer ein Stadtrecht.

Das Schloß hat 1603, wo der Staller Herrmann Hoyer es zu bewohnen angewiesen ward, öfter diesen Beamten zur Wohnung gedient. Nach der Schlacht bei Lutter am Barenberge 1626, in welcher der König Christian IV., der Anführer der Protestanten, von Tilly geschlagen ward und sich im folgenden Jahre über die Elbe zurückzog, ward Tönning am 18. Oktober 1626 von kaiserlichen Truppen besetzt, deren Oberst, Thomas Cerboni, sein Hauptquartier im Schlosse nahm. Erst am 30. November 1627 zogen diese wieder ab, nachdem sie die Stadt übel zugerichtet hatten. Es waren 128 Häuser niedergerissen oder von innen und außen verwüstet.

Der Herzog Friedrich III. von Gottorp, welcher 1616 seinem Vater Johann Adolf folgte, ließ schon seit 1640 Tönning befestigen, indem 11 regelmäßige Bollwerke um die Stadt angelegt wurden, deren Kosten 36 Tonnen Goldes sollen betragen haben. Als er nach dem Rothschilder Frieden im Kriege zwischen Dänemark und Schweden letzteres unterstützte, da seine Tochter Hedwig Eleonore die Gemahlin des Schwedenkönigs Karl’s X. war, sah er sich genöthigt, sich am 4. September 1658 mit seiner Familie und seinem ganzen Hofstaate nach Tönning zu begeben, wo er am 10. August des folgenden Jahres auf dem Schlosse starb. Am 4. September langte sein Sohn und Nachfolger Christian Abrecht, der sich gerade zu Besuche bei seiner königlichen Schwester in Schweden befand, in Tönning an. Hier verblieb er, während der dänische Feldmarschall Eberstein die Festung blokirte, und leitete persönlich die Vertheidigung der Stadt, die erst 1660 nach dem am 27. Mai zu Kopenhagen geschlossenen Frieden von den Belagerern befreit wurde. Fünfzehn Jahre später, 1657, als der dänische König Christian V. den Herzog Christian Albrecht hinterlistig nach Rendsburg lockte und ihn dort zur Unterzeichnung eines nachtheiligen Vertrages am 10. Juli nöthigte, worin auch die Schleifung der Tönninger Festungswerke ausbedungen war, widersetzte sich zwar anfangs der Commandant H. Walter, übergab aber auf Befehl des Herzogs die Festung, die nun im Frühjahr 1676 völlig demolirt ward, wobei man das Geschütz nach Rendsburg abführte.

Noch einmal wieder 1692 ließ Herzog Christian Albrecht Tönning befestigen und dies kam seinem Sohne, dem Herzog Friedrich IV., der ihm 1694 nachfolgte, sehr zu Statten. Denn als der Dänenkönig Friedrich IV. gleich nach seiner Thronbesteigung 1699 mit dem Herzoge Krieg anfing, ward Tönning im Anfang des Jahres 1700 von dänischen Truppen belagert und bombardirt. Man soll in 8 Tagen nicht weniger als 5670 Bomben in die Stadt geworfen haben, die natürlich vielen Schaden anrichteten. Doch vertheidigte sich die Besatzung hartnäckig, machte mehrere glückliche Ausfälle, schoß sogar am 15. Mai mit der Batterie, welche man auf der Garnisonskirche angelegt hatte, das feindliche Artillerie-Laboratorium in Brand und übergab sich nicht. Der Kurfürst von Hannover und der Herzog von Celle kamen der Festung mit 26,000 Mann zu Hülfe und entsetzten sie, worauf die Belagerer ihren Rückzug antraten. Der Friede von Traventhal, den 18. August 1700, beendete die Fehde.

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Das Schloß war während dieser Belagerungen ziemlich stark beschädigt worden, jedoch war es noch bewohnbar und erhielt schon nach 13 Jahren einen nicht gern gesehenen Bewohner in dem schwedischen General Steenbuck, der, nachdem er Altona verbrannt und am 19. Januar 1713 über das Eider-Eis nach Friedrichstadt gegangen, von da nach Flensburg gedrungen war, von russischen Truppen, die von Süden her, und von dänischen, die von Norden her anrückten, genöthigt ward, sich zurückzuziehen. Er führte am 14. Februar vier Regimenter und am 18. sein ganzen Heer nach Tönning, dessen Thore der herzogliche Commandant Zacharias Wolff ihm öffnete. Nun ward die Festung abermals belagert, ohne jedoch bombardirt zu werden. Desto ärger hausten die Schweden, die namentlich alles Holzwerk abrissen. Die Stadt war mit Menschen und Pferden überfüllt und es begannen bald die Lebensmittel unerschwinglich theuer zu werden. Wein und Bier fehlte gar gänzlich, auch Wassermangel trat ein. Da wurde endlich am 16. Mai zu Oldensworth, wo das dänische Hauptquartier war, capitulirt und am 26. Mai defilirten 9 Generäle, 700 Offiziere und 11,162 Mann Schweden als Gefangene am dänischen Lager vorüber. Die übergaben außerdem 3610 Pferde, 20 Kanonen, 61 Standarten und 67 Fahnen. Tönning ward noch bis zum 7. Febr. 1714 von des Herzogs Truppen besetzt gehalten und den Dänen belagert, dann aber übergeben und zum zweiten Male geschleift. Seitdem ist es nie wieder befestigt worden.

Nachdem das ganze Herzogthum Schleswig 1721 in den Besitz des Königs Friedrich IV. gelangt war, freilich nicht ohne Gewaltstreiche, wurde 1735 das schöne Tönninger Schloß niedergebrochen und die brauchbaren Materialien nach Drage bei Itzehoe gebracht, wo man sie zur Reparatur des 1572 von Balthasar v. Ahlefeldt, Amtmanns zu Rendsburg und Steinhorst, erbauten Schlosses, das nachmals den Namen Friedrichsruhe erhielt, verwendete. Auch dieses Gebäude ist jetzt nicht mehr und aus einigen Steinen des stattlichen Baues, der einst Tönning zierte, ist ein Stall zu Kaaksburg bei Itzehoe erbaut worden. Sic transit gloria mundi!

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Zwischen dem Schlosse und der Kirche sehen wir auf unserer Abbildung den Marktplatz von Tönning, der es auch noch gegenwärtig ist. Hier wurde zu wiederholten Malen den Landesherren von den friedlichen Außenlanden gehuldigt, so dem Herzoge Friedrich II. am 20. Februar 1587, dem Herzoge Philipp am 29. April 1588, dem Herzoge Johann Adolf 1591. Erst 1595 ward dieser Platz gepflastert. Hier befand sich schon seit langem ein Brunnen mit vortrefflichem Wasser (s. die Abbildung), der aber erst 1613, nachdem der Marktplatz mit 1200 Fudern Erde erhöht und mit einem neuen Steinpflaster belegt worden, so hergestellt wurde, wie er gegenwärtig ist: 24 Fuß tief und 7 Fuß breit, umbaut mit 8 behauenen Sandsteinen und überwölbt mit 4 eisernen, in einen Bogen sich vereinigenden Stangen.

Es finden sich noch jetzt manche Häuser von denjenigen, welche auf unserem Bilde vorkommen, die ihr Alter durch meistens in Sandstein eingehauene Inschriften bekunden, wie z.B.:

Gade vertruwen, up en fast buwen,
wert nemant reuwen 1550;

andere tragen auf der Giebelspitze eine Vase, eine Taube, eine Wetterfahne oder ähnliche Verzierungen. Der seitdem hinzugekommene größte Anbau liegt hinter dem Schlosse rechts ab von der Kirche, doch hat die ganze Stadt noch jetzt, besonders von der Chaussee von Husum her und in der Umgegend der Kirche, ein sehr alterthümliches Ansehen. Sie ist ja auch eine der ältesten unseres Landes, und an ihren Schicksalen von ihrem Ursprunge bis auf die Gegenwart herab wird die Geschichte recht zur Lehrerin des hienieden überall in allen Verhältnissen stets wiederkehrenden Wechsels von Hoheit und Niedrigkeit, von Macht und Ohnmacht. Möchte sie, die in den letzten Monaten auch in unserem ganzen Vaterlande mit Riesenschritten vorwärts eilt, indem sie Thatsachen an Thatsachen und Ereignisse an Ereignisse reiht, welche ebenfalls von jenem Wechsel deutlich zeugen, nicht eher ihren unablässig vorwärts schreitenden Fuß anhalten, als bis sie die Reihe der einander drängenden Ereignisse mit einem ehrenvollen Frieden schließt, der uns und unseren Nachkommen Selbstständigkeit und Freiheit, deutschen Sinn und deutsches Wesen für alle Zeiten sichert.

Vom Herausgeber.

Anmerkung: Der Text aus dem Jahr 1848 erschien im Oktober 2014 in Frakturschrift als Faksimile-Abdruck in Heft 33 des Mitteilungsblattes der Gesellschaft für Tönninger Stadtgeschichte e.V. Zur besseren Lesbarkeit wurde er hier in eine moderne Schrift übertragen und stärker gegliedert, die Schreibweise der Namen, Orthographie und Interpunktion wurden zur Wahrung seines Charakters beibehalten. Bei der Abbildung handelt es sich um das Foto einer Schautafel am Hafen von Tönning, das der Darstellung im Orginaltext weitgehend entspricht.


Sammlung Schimmelrieder, Tönning / Nordfriesland