Vom Alten Land nach Eiderstedt

Herbst 2014

 

Freitag, 3. Oktober 2014

Stade ist am frühen Nachmittag quirlig, gleichwohl recht beschaulich, auch wenn die Beschaulichkeit durch die Restaurierungsarbeiten an der Hudebrücke hinter dem historischen Hafen etwas beeinträchtigt ist. Vor einem Restaurant vor der Brücke finden wir zwei Sitzplätze mit Blick auf das Wasser.

Stade, © 2014 Jürgen KullmannNach dem Lunch ein Spaziergang durchs Städtchen; die berühmte Orgel der Kirche St. Cosmae et Damiani will besichtigt und fotografiert werden. Gebaut in den Jahren 1669 bis 1673 von Berendt Hus und seinem Neffen Arp Schnitger, gilt sie mit ihren zweiundvierzig weitgehend original erhaltenen Registern auf drei Manualen, die Pedale nicht zu vergessen, als eine der bedeutendsten Barockorgeln Norddeutschlands. Wollen wir auf den Kirchturm, um das mittelalterliche Hansestädtchen mit seinen knapp 50.000 Einwohnern von oben zu sehen? Auf einer Warntafel wird nicht Schwindelfreien dringend von einem solchen Unterfangen abgeraten und darauf verwiesen, dass es treppabwärts an einigen Stellen nur rückwärts geht.

Wir verzichten auf das Abenteuer, verlassen die Stadt und radeln durchs Alte Land. Der Name, plattdeutsch Olland, geht auf die Kolonisierung der Elbmarsch durch niederländische Siedler zwischen 1130 und 1230 zurück. 1312 wurde im Stadtbuch von Stade ein innerhalb der Stadt gelegener Obstgarten der Herren des Klosters Sankt Georg erwähnt und schon im 17. Jahrhundert in der Marsch auf 200 Hektar Obst angebaut. Heute liegt die Obstanbaufläche im Alten Land bei mehr als 10.000 Hektar, und mehr als drei Viertel davon sind Äpfel. Den Äpfeln nach zu urteilen ist es Erntezeit, nicht wenige liegen auf dem Boden unter den Bäumen, die von der Höhe her eher Bäumchen sind, ein Spalierobst, das sich ohne Leiter ernten lässt. Ein Angler sitzt an einem Sielzug vor einer schon abgeernteten Reihe, sien Fru hat Besseres zu tun und liest in einem Buch.

Altes Land © 2014 Juergen Kullmann

Weiter geht’s, und wir stoßen südöstlich von Stade auf die Elbe vor Lühesand. Auf dieser 120 Hektar großen, langgestreckten und nur per Schiff erreichbaren ‘Insel im Strom’ befindet sich ein Campingplatz, der kürzlich im Mittelpunkt einer Fernsehdokumentation stand. Ihr südöstlicher Teil ist ein Landschaftsschutzgebiet, in dem die Besucher unter den wachen Augen des NABU (Naturschutzbund Deutschland) von April bis Oktober die heimische Vogelwelt beobachten können.

Leuchtfeuer von Twielenfleth, © 2014 Jürgen KullmannWir radeln entlang des großen Stroms elbabwärts, legen eine Guckpause am Leuchtfeuer von Twielenfleth ein: Der schwarzweiß gestreifte Turm stand von 1972 bis 1984 als Leuchtturm Kahlersand südlich vom Stader Elbehafen und wurde 1984 an seine heutige Position am Deich von Twielenfleth versetzt. Das Foto ist im Kasten, und weiter geht es die Elbe hinunter bis zum einstigen Kernkraftwerk Stade, das laut einer Jubiläumsschrift des Landkreises bis zu seiner Stilllegung vor elf Jahren “dreißig Jahre lang eine positive Ausstrahlung auf die gesamte Region” hatte. Und jetzt müssen die Stader ganz ohne Strahlung auskommen!

Es dämmert, als wir wieder an unserem Hotel in Stade sind. Zu Fuß geht es ins historische Zentrum, wo wir gegen zwanzig Uhr recht lecker beim Störtebeker speisen. Anschließend macht mien Deern mit ihrer Handy-Kamera ein paar Nachtaufnahmen, die ‘richtige’ Kamera mitzunehmen habe ich leider versäumt. Tomorrow is another day, wie der Ire sagt.

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Sonnabend, 4. Oktober 2014

Unterwegs nach Süden, zunächst zum ausgedienten Atommeiler von Stade und dann die Elbe aufwärts. Nicht bis nach Hamburg – auch Grünendeich ist ein sehenswertes Ziel, sagt mien Deern nach dem Studium eines (gedruckten) Reiseführers. Zuvor noch ein paar Fotos von der alten Hansestadt Stade, in der die Sonne gerade die historische Hafenzeile ins richtige Licht setzt:

Altes Land © 2014 Juergen Kullmann

Eine Stunde später stehen wir am Fluss, der hier und da mit einem Sandstrand aufwartet, und radeln elbaufwärts. Nicht immer sieht man das Wasser, denn das Ufer liegt hundert bis zweihundert Meter links des Weges und ist oft hinter Gesträuch und Bäumen verborgen. Ein Containerschiff überholt uns – wer hätte gedacht, dass diese Riesen so schnell sind! Das Schiff selbst bleibt im Verborgenen; man sieht nur hohe Container-Aufbauten, die über den Uferbäumen an uns vorbeischweben.

Grünendeich, © 2014 Jürgen KullmannDas Dorf Grünendeich ist mit rund 1.800 Einwohnern Ziel und Wendepunkt unserer Tagestour durch das Alte Land. Elbmarsch, Geest und Apfelblüte verspricht der Radwanderführer. Blüten sieht man keine, aber das, was aus ihnen geworden ist, und vor allem das weiße altenländische Fachwerk der Häuser:

Im Restaurant Windmüller von Steinkirchen serviert man die beste Kürbiscreme-Suppe der Welt. Warum dieser Name? Eine Mühle war das im Jahr 1746 errichtete altenländische Bauernhaus nie. Die Lösung liegt hoch oben im Giebel. Dort sieht man eine kleine Figur; das ist der Windmüller, und er soll dafür sorgen, dass in diesem Haus nie das Mehl ausgeht.

Mühle Venti Amica, © 2014 Jürgen KullmannSo gestärkt geht es weiter. Die in unsere Fahrradkarte eingezeichnete Altenländer Prunkpforte können wir nicht finden, und ein Wehrturm aus dem zwölften Jahrhundert wehrt sich bei Siebenhöfen mit zwei nicht von der Stelle weichenden, nur auf ihre Smartphones starrende Gestalten gegen alle Ablichtungsversuche. Da ist uns kurz vor Stade eine Freundin des Windes wohler gesonnen. Wer in der Mühle Venti Amica bei Hollern-Twielenfleth sein Mehl kauft, bekommt es ohne Ausstoß von Treibhausgasen gemahlen. Der Trägerverein hat jetzt einen Online-Shop eingerichtet.

Gegen 18 Uhr sind wir wieder am Hotel, schieben die Fahrräder in den Schuppen und gehen in freudiger Erwartung der für 19 Uhr angekündigten abendlichen Stadtführung zum Hafen hinunter. Die Führung fällt wegen des Ausbleibens weiterer Teilnehmer aus, die vermutlich alle in den Restaurants hocken. Wir wandern von einem Gasthof zum anderen, doch nach Verneinung der obligatorischen Eingangsfrage Haben Sie reserviert? schüttelt man nur bedauernd den Kopf.

Eine Stunde später, es ist so gegen acht Uhr, wird ein Tisch in der Messerschmiede frei. Wir suchen uns etwas von der Speisekarte aus, bekommen schon einmal die Getränke … um nach einer weiteren Stunde gefragt zu werden, was wir geordert haben. Die Bestellung sei auf dem Weg in die Küche verlorengegangen, meint stoisch die Kellnerin. Sauer wie nicht verzehrtes Sauerfleisch verzichten auf einen zweiten Anlauf, bezahlen dankend die Getränke und wandern zum Störtebeker hinüber, der sich der vom Adel und der reichen Kaufmannschaft ausgebeuteten, hungernden Menschheit erbarmt und uns ein warmes Mahl serviert. Dann ziehen wir los und machen noch ein paar Nachtaufnahmen.

Stade bei Nacht © 2014 Hildegard Vogt-Kullmann

Över de stillen Straaten
Geiht klar de Klokkenslag;
God Nacht! Din Hart will slapen,
Un morgen is ok en Dag.

Und mit dem Schlag der Glocke von St. Cosmae et Damiani und dem obigen Gedicht aus dem Jahr 1850 von Theodor Storm sage ich jetzt auch ‘Gute Nacht’.

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Sonntag, 5. Oktober 2014

Wir stehen im Elbstrom auf der Insel Krautsand, und Sand gibt es hier wahrlich. “Ein kilometerlanger weißer Sandstrand am Elbstrom wartet auf Wanderer, Badegäste und Sandburgenbauer”, liest man im Reiseführer. Auf dem ersten Blick ist Krautsand kaum als Insel zu erkennen. Der Elbarm, der sie vom Festland trennt, wirkt eher wie ein Bach und es führt eine Brücke hinüber.

Krautsand, Unterelbe © 2014 Hildegard Vogt-Kullmann

Wenige Kilometer vor der Fähre Wischhafen-Glückstadt haben wir hier Station gemacht. Ein Imbiss-Stand am Weg, der zum Sandstrand am Hauptstrom der Elbe hinunterführt, bereitet sich auf die Spätsommer-Ausflügler vor: Stühle und Bänke werden zurechtgerückt und der Räucherofen angeworfen. Am Wasser ein Anleger für die Ausflugsschifffahrt; von hier aus startet das Plattbodenschiff Tiedenkieker zu Safaris auf der Unterelbe. Nur hin und wieder gleitet ein halbwegs dicker Pott durch das Fahrwasser; der Fluss scheint am Sonntagvormittag den Wassersportlern vorbehalten zu sein.

Auch während der Fahrt über die Elbe nach Glückstadt sehen wir keine wirklich großen Pötte, und gegen zwei Uhr sind wir in Tönning. Die letzten Feriengäste haben die Wohnung etwas ‘verkrümelt’ hinterlassen; mien Deern entkrümelt, derweil ich unseren Kram ins Haus räume und das Appartement bezugsfertig mache. Fischbrötchen bei Guszinkis am Hafen stillen den aufgelaufenen Hunger, ehe es in den Sky Markt zum Einkaufen geht. Zum Abendessen gibt es Spaghetti mit Tomatensauce.

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Montag, 6. Oktober 2014

GApfelernte, © 2014 Jürgen Kullmannartenarbeit ist angesagt: Hacken, graben, die Rosen schneiden und sie anbinden. Am Ende des Tages warten 1,5 Müllsäcke mit Grünzeug auf den Abtransport. Zwischendurch klopft zwecks Projektbesprechung unser Anstrieker an die Tür, denn morgen früh soll es losgehen: das Wohnzimmer, die Küche, die Diele, der Treppenaufgang und der Flur zu den Gästeschlafzimmer wollen neu gestrichen werden.

Nicht nur dem Maler, auch anderen vorbeischauenden Nachbarn präsentieren wir stolz unsere diesjährige Apfelernte – und versprechen leichtfertig, ihnen etwas von dem Apfelkuchen zu überlassen, den wir zu backen gedenken. Hoffentlich findet sich in einem unserer Kochbücher ein Rezept für den Teig.

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7. bis 10. Oktober 2014

ns Maler ist in uns Huus, Aufgabenbeschreibung siehe oben. Wir räumen die Möbel hin und her, er malt. Die von uns aus dem Ruhrgebiet importierte Farbe findet seine Anerkennung, sie war auch teuer genug.

Es ist Donnerstag, und die ‘irischen Bäckers’ sind zum Kaffee gekommen. Damit wird der erste Apfelkuchen fällig, gebacken nach einem in Nis Puks Bibliothek gefundenen Rezept der Eiderstedter Landfrauen. Mit unserem Maler sitzen wir zu Fünft um den Tisch, der Apfelkuchen wird allseits akzeptiert. Die Bäckers erzählen von ihrer irischen Verwandtschaft und dem Leben in einer Kleinstadt auf der Grünen Insel, der Maler von den local people in Tönning.

Am Freitag mag mien Deern, so nett und hilfsbereit er auch ist, den unermüdlich plaudernden Maler nicht noch länger unterhalten. Die außen an einigen Fenstern und der Haustür abblätternde Farbe – der Maler ist nur für Innenarbeiten engagiert – ward bereits gestern erneuert, und so machen wir einen Ausflug nach St. Peter-Ording, wo sie (inklusive einer einknöpfbaren warmen Innenjacke) mehr als dreihundert Euro in eine sündhaft teure Regenjacke investiert. Zehntausend Millimeter Wassersäule soll die Außenhaut abwehren, da kommt, so bleibt zu hoffen, kein Regentropfen mehr durch.

Auf dem Heimweg kehren wir in Garding in der Kupferpfanne ein. Nach dem Innenumbau im Frühjahr ist man jetzt mit der Außenrenovierung beschäftigt. Die Rösti Provencale sind lecker wie ehedem; mien Deern schmeichelt dem Koch, und der Koch fühlt sich geschmeichelt. “Wie die Männer halt so sind, wenn eine schöne Frau sie anguckt”, stelle ich fest. “Sag mal lieber intelligente Frau”, kommt spontan die Antwort, doch mitunter fällt ja auch beides zusammen.

Garding, © 2014 Jürgen KullmannBeim Verlassen der Kupferpfanne ist es noch sonnig, doch schon bauen sich drohend dunkle Wolken am Firmament auf. Ich mache noch rasch ein Foto die Fischerstraße hoch in Richtung Kirche. Wieder daheim erzählt uns jemand vom nicht allzu erfolgreichen Wirken des Nachwuchses des Besitzers der Kupferpfanne, der schon manch ein Business in den Sand gesetzt haben soll. Hoffentlich wird er in einer hoffentlich noch fernen Zukunft mit dem Erbe seiner Eltern mehr Erfolg haben, nachdem sie jetzt so viel Geld ins Lokal investiert haben.

Habe ich noch etwas vergessen? Im Krämerladen in der Engen Straße erstanden wir zwei weitere Tassen* und beim Gardinger Schlachter eine Lammschulter.

* Siehe Tagebucheintrag vom 5. November 2012

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Sonnabend, 11. Oktober 2014

Die Malerarbeiten gehen in den fünften und letzten Tag; nur noch drei Wände in der Diele sind zu streichen. Wir lassen den Meister damit allein, verdrücken uns zum Einkaufen und machen von dort aus einen Ausflug zum Westerheversand. Herbstlich leuchten die Salzwiesen in Tönen zwischen grün und braun, und in der Ferne ruht im leichten Dunst der Leuchtturm unter einem unendlichen Himmel.

Leuchtturm Westerheversand © 2014 Juergen Kullmann

Bei unserer Rückkehr sind die Arbeiten abgeschlossen und der Maler hat das Feld bereits geräumt. Wir rücken die Möbel wieder zurecht, wischen durchs Erdgeschoss, und uns Huus ist wieder hübsch. Dann wird ein zweiter Apfelkuchen gebacken, denn am Nachmittag kommen die Nachbarn von nebenan zu Besuch. Auch sie loben unsere Backkünste.

Am Abend geht es zum historischen Haubarg Trindamm bei Tetenbüll, wo der Tetenbüller Kröger Hans Jakob Claußen in der Veranstaltungsreihe Erzähl mir was über die Geschichte der Haubarge schnacken will:

“Haubarg Saga – Geschichten und Erinnerungen an das Leben auf einem Haubarg vor 50 bis 100 Jahren, heiter-besinnlich und ernst vorgetragen vom Tetenbüller Kröger Hans Jakob Claußen in der Loo des historischen Haubargs Trindamm, einem der schönsten erhaltenen und bewohnten Haubarge in Eiderstedt …”

steht in der Ankündigung des Veranstaltungsverzeichnisses. Den Haubarg im Dunkeln zu finden ist nicht so leicht. Die Angabe Osterkoogsdeich 15 A im Faltblatt ist wenig hilfreich, wenn selbst in unserer detaillierten Rad- und Wanderkarte keine Straßennamen verzeichnet sind, vom Autoatlas ganz zu schweigen. Doch wir entdecken auf der Wanderkarte nördlich von Tetenbüll eine Region ‘Trindamm’, durch die eine Straße führt. Also heißt es, in der mond- und sternenlosen Finsternis die Straße entlang zu fahren und die Augen offen zu halten – bis in der Ferne Lichter von Scheinwerfern auftauchen, von Autos, deren Fahrer einen Parkplatz am Straßenrand suchen, eifrig bemüht, dabei nicht in den Graben zu rutschen. So wie wir es dann auch tun, was gar nicht so einfach ist, wenn man keine Taschenlampe zur Hand hat. Immerhin ward vom Hoftor bis zum Eingang eine Leuchtkette gelegt.

“Der 74-jährige Tetenbüller Kröger ging in seiner lockeren Art auf die Historie der bekannten Bauten ein. Mit Geschichten und Anekdoten spannte er heiter und spannend einen Bogen von den Anfängen bis hinein in die heutige Zeit”,

liest man am Montag darauf in den Husumer Nachrichten. So stand es in der Ankündigung, die wohl vom Redakteur übernommen wurde. Doch ‘Geschichten und Anekdoten’ brachte der Kröger leider nur sehr wenige; meist waren es Sachinformationen zu diesem Typ eines Bauernhauses, das im späten 16. Jahrhundert mit westfriesischen Einwanderern aus den Niederlanden nach Eiderstedt gekommen war. Sein riesiges Dach ruht auf gewaltigen Holzständern, unter denen das Heu (Hau) geborgen wird. Zwischen den bis zu zehn Ständern, die durch Längs- und Querbalken (Fetten) verbunden sind, wurde das Heu vom Erdboden hochgestapelt und konnte von zwei Seiten zu den in den niedrigeren Bereichen des Bauwerks stehenden Tieren gebracht werden. Auf der dritten Seite befand sich die Diele, die mit dem Wagen angefahren werden konnte, und auf der vierten der Wohnteil. Dabei ist der Grundriss eines Haubargs fast quadratisch. Selbst wenn eine Sturmflut die Mauern eindrückt, halten die Ständer noch das Dach, und das Mauerwerk kann anschließend erneuert werden.

Im Jahr 1860 gab es 360 Haubarge auf der Halbinsel Eiderstedt, 2008 waren es noch um die 100, von denen 31 aktuell unter Denkmalschutz stehen. Trindamm stammt aus der Zeit um 1880 und zählt zu den ältesten noch nutzbaren, wobei das Ständerwerk im Original erhalten ist.

Nordfriesische Zeitungsreporter sind höflich gegenüber Touristen: “Wie gewohnt redete Claußen in lupenreinem Eiderstedter Platt, bis ihn eine Urlauberin aus Nordrhein-Westfalen freundlich bat, ein wenig langsamer zu sprechen. Sofort schwenkte er auf Hochdeutsch um”, werden wir zwei Tage später in der Zeitung lesen. Das hatten wir vor Ort anders gesehen, empfanden den Ton und die Wortwahl der Fragestellerin ausgesprochen vorwurfsvoll und gereizt, so gereizt, dass es uns als Zuhörer dem Veranstalter gegenüber peinlich war und wir hofften, nicht auch als Touristen erkannt zu werden.

Recht kühl war es in der bis unter das gewaltige Dach reichenden Loo des Haubargs, in der in alten Zeiten das Korn gedroschen wurde, so dass die meisten Besucher die Jacken und Pullover, in denen sie hergekommenen waren, anbehielten. Doch ein heißes Würstchen war im Eintrittspreis von nur drei Euro inbegriffen und eine Flasche Flens dazu. Friesische Gastfreundschaft eben!

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Sonntag, 12. Oktober 2014

Hallenflohmarkt im NordseeCongressCentrum von Husum. Welche Marketing-Strategen haben diese Schreibweise wohl verbrochen? Ob es die gleichen sind, die der Landesregierung für einen Haufen Geld den Slogan ‘Schleswig-Holstein – der echte Norden’ angedreht haben? Doch zurück zum Flohmarkt, der als der größte im Land gilt. Die Parkgebühr beträgt ein Euro, der Eintritt ist frei. Wir erwerben einen blau-grauen Tonkrug, vorgesehen für das Weihnachtsgestrüpp hinter unserer Krippe im Dezember, eine große Pinzette, ein paar kunstvoll gestaltete Grußkarten, ein Hackmesser à la Jack-the-Ripper und eine Backschüssel. Mein Mädchen ist glücklich.

Zuvor hatten wir am frühen Vormittag unsere Malerrechnung bezahlt und mit dem Maler un sien Fru geschnackt.

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Montag, 13. Oktober 2014

Zwei kleine Feststell-Schrauben haben sich von den Gardinenstangen im Wohnzimmer gelöst und, so steht zu vermuten, durch Ritzen zwischen den Bodendielen auf und davon gemacht. In den beiden Husumer Baumärkten sind solche Schrauben nicht zu bekommen, es sei denn, wir wollten die dazugehörigen Gardinenstangen mitkaufen. Vielleicht versuchen wir es mal in Garding.

BuchdeckelGar so dringend ist die Sache nicht, und so geht es weiter zu Küchen Christian nach Arlewatt, ein mittelständisches Unternehmen, das uns – empfohlen von unseren Nachbarn rechterhand – sympathischer ist als all die XXL-Mega-Möbelmärkte, deren Werbung Tag für Tag mit der Zeitung ins Haus flattert. Das Personal ist unaufdringlich und kompetent, eine schöne Küchenfront entdecken wir sehr wohl, doch was hilft’s, wenn man sich noch nicht auf ein Grundkonzept für die Küchenplanung geeinigt hat?

Auf dem Rückweg speisen im Husumer Ratskeller und erwerben bei Liesegang den heute erschienenen sechsten und vermutlich letzten Band der Flavia-de-Luce-Reihe. Tote Vögel singen nicht lautet der Titel, denn wenn die 12-jährige Hobby-Detektivin aus Leidenschaft ermittelt, müssen Mörder Federn lassen.

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Dienstag, 14. Oktober 2014

Frau Pölkow ist nicht im Laden, doch ihre Vertretung weiß sofort, wer da zur Tür reingekommt. Wir sind im Modestübchen Moderat von Friedrichstadt, und es geht um einen Geburtstagseinkauf för mien Deern. Er gestaltet sich erfolgreich. “Hatten Sie da nicht eine Abmachung mit Frau Pölkow?” erinnert sich die Verkäuferin, “wie viel Prozent waren das noch mal?” Der VIP-Rabatt wird abgezogen.

An der Eider bei Tönning © 2014 Juergen Kullmann

Hatte es auf der Hinfahrt noch geregnet, scheint jetzt die Sonne. Wieder daheim bummeln wir über den Eiderdeich und machen Fotos im späten Nachmittagslicht. Viel Zeit haben wir nicht, denn die Nachbarn rechterhand kommen zum Abendessen und wir müssen noch an den Herd: Lammschulter, dazu Bohnen in Schinken gewickelt und gebackene Kürbisspalten pikant. Den Wein bringen die Gäste mit; sie bleiben bis halb zwölf, da hat es ihnen wohl gefallen.

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Mittwoch, 15. Oktober 2014

Der Vormittag: Wir bummeln durchs Städtchen und erwerben bei Boye Hamkens eine Blechdose für Nähutensilien, die von nun an im Wohnzimmer auf dem Schreibsekretär steht, sowie einen Old-Style-Messbecher aus Metall für die Küche.

Der Nachmittag: Die Tönning-Ansichtskarten von ‘Uns Huus’ will man im Tourist-Office nicht auslegen, obwohl wir im Gastgeberverzeichnis für zirka 180 Euro eine Anzeige geschaltet haben. Derweil meine ungeschickten Verhandlungen scheitern, sitzt mien Deern beim Friseur am Schlosspark, lässt sich für neunzehn Euro den Schopf schön machen, unterhält sich dabei glänzend mit der Tante der Inhaberin, die all dies bewirkt, und bekommt anschließend eine Bonuskarte. Sehr zufrieden mit dem Ergebnis beschließt sie, ihre Friseurtermine künftig so zu planen, dass bei jedem Tönningbesuch einer anfällt:

Wieder einmal ausgeflogen,
Wieder einmal heimgekehrt,
Fand ich doch die alten Freunde
Und die Herzen unversehrt.

heißt es in einem Gedicht von Theodor Storm, und wo findet man sie, wenn nicht beim Friseur? Ansonsten regnet es den lieben langen Tag.

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Donnerstag, 16. Oktober 2014

DHusum, Lakritzenladen in der Straße Neustadt, © 2019 Jürgen Kullmannraußen ist es halbwegs trocken. Wir beschließen, in Ruhe durch Husum zu bummeln und dabei nicht an die künftige Gestaltung unserer Küche zu denken. Die (Straße) Neustadt hat sich in den letzten Jahren mit interessanten kleinen Läden herausgeputzt: Kunst und Kunsthandwerk, Antiquitäten und was die Seele sonst noch so begehrt. Nicht zu vergessen, wie mir versichert wird, der weltbeste Lakritzenladen. Von Trollen, Elfen und Eisriesen lautet der Titel eines Druckerzeugnisses, das ich nach einigem Zureden vun mien Deern (zögerte ich doch ob der Geldausgabe) in einer Kunstgalerie erwerbe, ein handwerklich exzellent gemachtes Buch mit nordischen Sagen und Märchen.

Nur wenige Meter weiter die Straße hoch gehen wir im Café Auszeit vor Anker: Kaffee & Kuchen in zwei Räumen mit historischem Flair und persönlicher Bedienung. Drei täglich wechselnde kleine Gerichte stehen auf der Karte, dazu vier selbst gebackene Kuchen, alles lecker und deutlich unter den Preisen, die man bei Jacqueline am Schlossgang zahlt. Die Toiletten sind in einem Häuschen hinten im Garten. Alles, was man um sich herum sieht, kann man kaufen. “Auch der Stuhl, auf dem man sitzt?” frage ich. “Bitte sehr, dann kommt ein anderer hin!”

Auf dem Weg zurück zum Auto erwirbt mein Mädchen im Laden an der Ecke zum Binnenhafen eine grüne Fleece-Jacke. Noch rasch ein Foto von der grauen Stadt am grauen Meer. Die Sache mit dem Grau kommt hin, wenngleich der schwer die Dächer drückende Nebel fehlt – was soll’s, irgendwann einmal wird es mit dem Foto zu Storms Gedicht schon noch klappen.

Graues Husum © 2014 Hildegard Vogt-Kullmann

Wieder daheim ist es im Freien immer noch trocken, und ich streiche endlich die beiden Vogelhäuser. Mien Deern hat es Nis Puk schon seit zwei Wochen versprochen.

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Freitag, 17. Oktober 2014

Ein neuer verregneter Tag mit vereinzelten trockenen Phasen: also lange schlafen, lange frühstücken und lange die Husumer Nachrichten lesen. Dann wird das Grünzeug aus dem Garten zum Recyclinghof gebracht (1 Euro für die Kaffeekasse), und die beiden frisch gestrichenen Vogelhäuser werden am Zaun angebracht.

Am frühen Nachmittag, so gegen 14 Uhr, finden wir uns wieder in Kerlins Kupferpfanne ein, dieses Mal wirklich für ‘etwas ganz anderes’: Röstis mit Riesengarnelen. Bei Edeka Pioch, dort steht auch unser Auto auf dem Parkplatz, kaufen wir zwei Baguette, etwas Käse und ein paar Leckereien für heute Abend. Familie W. will gegen sechs Uhr vorbeischauen, man muss seine Hausverwalter pflegen so gut man kann. Wein und Bier ist noch genug vorhanden. Um noch nach Vollerwiek ans Meer zu fahren, ist es jetzt zu spät; macht nichts, denn es fängt wieder an zu regnen.

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Sonnabend, 18. Oktober 2014

Der erhoffte und auch ein bisschen erwartete blaue Himmel bleibt aus und die Fahrräder bleiben im Schuppen. Beim Mühlenbäcker heißt es Anstehen, die Schlange der Brötchenkäufer zieht sich bis auf den Gehweg hin. Kaum kürzer ist die Schlange später beim Matjeskauf in der ‘Alten Fischereigenossenschaft’ am Hafen. Zwar sind uns der Geschmacksverstärker und das Nitrit zur Rosafärbung auf der Zutatenliste nicht geheuer, doch die Verwandtschaft aus dem Ruhrgebiet hatte uns eine Bestellung mit auf den Weg nach Tönning gegeben.

Am frühen Nachmittag wollen wir dem Meer noch einmal unsere Referenz erweisen und fahren nach Vollerwiek, aber die Brise auf dem Deich ist meinem Mädchen zu steif. Da ist es im Koog Café hinter dem Sperrwerk schon gemütlicher und der Kuchen lecker wie ehedem. Mien Deern ist begeistert von der Pharisäertorte: Mokka, Sahne, Rum und obendrauf Baiser. An der Kasse entdecke ich dann auch das Buch über die Geschichte des Wesselburener Koogs, über das mal ein Bericht in der Zeitung stand. In keinem Buchladen und in keinem Internet-Shop konnte ich es finden. Kein Wunder, dass es hier auf der Theke liegt, denn nicht selten steht der Bürgermeister der Gemeinde hinter ihr.

Das war es dann mit den Aufzeichnungen für diesen Oktober. Morgen geht es zurück nach Dortmund, doch zu Weihnachten sind wir wieder vor Ort.

 
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Frühere Tagebücher


Unser Leben in ‘Uns Huus’: Oktober 2014
Letzte Bearbeitung 13.10.2020